Das alte Müllerhaus nach Bezug. Die Fenster sind notdürftig repariert, geheizt wird über den Flüssggastank (im Vordergrund). Die Dachreparatur müssen wir auf später verschieben, Hauptsache: erst mal drin. Idylle sieht anders aus – aber immerhin haben wir schon mal wieder einen Gemeinschaftsraum für Abendessen und Arbeitsbesprechung.
Keine Zeit für Befindlichkeiten
Viel Zeit blieb aber nicht für solche Befindlichkeiten. In nur 14 Monaten mussten wir unsere Ökonomie so aufgebaut kriegen, dass damit die monatlichen Mietkaufkosten von 18.000 DM gedeckt werden könnten. Dieses zwar vertraglich festgelegte, aber befristete Angebot mussten wir unter allen Umständen wahrnehmen, weil sonst alle unsere Investitionen in den Ausbau verloren gehen würden.
Dass die dazu notwendige Entwicklung mit Gebrauchtmöbelhandel wie in Bonames nicht zu schaffen wäre, machte eine Überschlagsrechnung unmittelbar klar: mit diesem ‚Geschäft‘ hatten wir gerade mal 5,- DM pro Stunde erwirtschaftet. Zusätzlich war nicht zu erwarten, dass die Käufer solcher Möbel es bei der schlechten öffentlichen Verkehrsanbindung der Krebsmühle (1,5 km Fußweg von der nächsten U-Bahn-Haltestelle) überhaupt zu uns schaffen würden.
Neuer Arbeitsbereich: Antiquitätenhandel
Andererseits liegt die Krebsmühle für Autofahrer ausgesprochen günstig: direkt an der Ausfallstraße von Frankfurt nach Oberursel, Bad Homburg und den Vordertaunus – einem Gebiet mit hoher Kaufkraft und anspruchsvollen Kunden. Die müssten wir mit Werbemaßnahmen direkt an der Straße auf uns aufmerksam machen können, wenn wir denn das passende Produkt hätten. So fiel – eher notgedrungen – die Entscheidung für einen Geschäftsbereich, den wir in Bonames nur am Rande betrieben hatten: den Handel mit Antiquitäten und restaurierten Bauernmöbeln.
Werbung tut not
Der Giebel des Mühlengebäudes ist weithin sichtbar, diesen für die Werbung zu nutzen also unabdingbar. Die Beschriftungsaktion geriet – mangels finanzieller Möglichkeiten, ein Gerüst aufzustellen – zwar zu einer gefährlichen Kletterpartie, blieb aber glücklicherweise „ohne Verluste“.
Hier der Blick auf die Einfahrt zur Krebsmühle, wie sie sich zu dieser Zeit dem Richtung Oberursel fahrenen Verkehr präsentierte:
Werbemaßnahmen an der Straße mit alter Kutsche, Leuchtschild und Giebelbeschriftung‘.
‚Antiquitäten’handel
Na ja, ‚Antiquitäten‘. Wirklich alte, erlesene Stücke hatten wir nicht. Zumeist handelte es sich um Möbel aus der Gründerzeit, dem Jugenstil und den frühen 20er Jahren und auch dabei nicht um wertvolle Hölzer, sondern hauptsächlich um Bauernmöbel, die bei ihrer Herstellung mit Bierlack bemalt worden waren, um edlere Hölzer vorzutäuschen. Diese wurden von der Bierlackbemalung oder sonstiger Farbe befreit und zeigten danach das Fichte-, Kiefer- oder Lärchenholz, mit dem sie gebaut worden waren.
Diese Möbel, von den Schreinern damals noch aus echten, schön gemaserten Brettern gebaut, trafen nach dem Ablaugen und der Restaurierung exakt den Geschmack der Zeit nach hellen Holzmöbeln, einen Trend, den das zu dieser Zeit in Deutschland aufkommende schwedische Möbelhaus IKEA geschaffen hatte (die erste IKEA-Filiale wurde im Oktober 1974 in München eröffnet). Wir lagen also goldrichtig mit unserer Entscheidung, wenn auch über lange Zeit ‚Bauchschmerzen‘ blieben: bisher war unser Kundenklientel – wie wir – finanziell schwach auf der Brust und auch ansonsten nicht weit weg von unserem sozialen Umfeld. Nun bedienten wir Kunden aus einer gehobenen sozialen Schicht mit Produkten, die auch wir uns für uns selbst nicht leisten konnten.
Mit solchen Widersprüchen mussten wir leben lernen.
Nachfolgend ein paar Ansichten aus unseren Ladenräumen. Von Anfang an lag die Konzentration neben Möbeln auch auf hübschem oder nützlichem Kleinkram. Wenn schon keine Möbel, sollten die Kunden immer doch etwas zum Kaufen finden, damit sie das Gefühl behielten, ihr Besuch habe sich gelohnt. Bei diesem ‚Kleinkram‘ handelte es sich um Produkte anderer Kollektivbertiebe, zum Beispiel um Bilderrahmen der „Bilderwerkstatt Aachen“, Umwelt-Briefpapier vom „Blätterwald“ oder Wolle von der „Schäfereigenossenschaft Finkhof“. Zudem gab es – zur Unterstützung dortiger Kooperativen – Weine aus Okzitanien und Sizilien, Teppiche aus Sizilien und Jeans aus Belgien.
Möbelrestaurierung – Aufbau der Werkstätten
Hatten wir zunächst unsere Ladenräume in der Krebsmühle mit Möbeln von befreundeten Händlern befüllt, die wir für diese in Kommission verkauften (dabei blieb uns vom Verkaufserlös ein Anteil von 30%, 70% bekam der Händler nach Verkauf), stellte sich mit wachsendem Kundenzuspruch schnell heraus, dass diese Quellen uns nicht ausreichend versorgen konnten. Wir hatten keinen Einfluss auf die Art der Ware, die Qualität der Restaurierung und den Preis für den Endkunden.
Naheliegend war, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen und uns mit eigenem Möbelankauf und eigener Restaurierungswerkstatt selbst zu versorgen.
So entstand die Holzwerkstatt der Krebsmühle mit einer Ablaugewanne, jeder Menge Schleifmaschinen und allem, was für die Restaurirung nötig ist.
Allerdings waren weder die schuppenartigen Hofgebäude noch die offene Auslieferungshalle ohne Umbau dafür zu nutzen. Da musste also zunächst eine Menge Ausbauarbeit reingesteckt werden, bevor die eigentliche Arbeit beginnen konnte.
Der Ausbau erfolgte sehr improvisiert nach dem Motto „Learning by doing“ und „viele Hände bewegen viel“. Niemand hatte sich vorher mit solchen Tätigkeiten beschäftigt. Und beim verwendeten Material mussten wir aus Geldmangel weitgehend auf Recyceltes vom Schrottplatz oder Bauhof zurückgreifen.
Schläft das Bauamt?
Natürlich waren diese Umbaumaßnahmen nicht beim Bauamt angemeldet, sondern erfolgten klassisch als Schwarzbau. Sehr verwunderlich, dass sich von den Kontroll- und Genehmigungsbehörden gerade in diesen ersten wilden Anfangszeiten niemand blicken ließ. Das hatte sicher damit zu tun, dass die Krebsmühle genau an der Stadtgrenze Frankfurt/Oberursel liegt, also in weitestmöglicher Entfernung von beiden Rathäusern. Ein echter Standortvorteil.
Die Holzwerkstatt
Jeder zweite „Aussteiger“ in den alternativen Zeiten antwortete auf die Frage, was er denn am liebsten machen würde: ‚mit Holz arbeiten‘. So war es kein Wunder, dass sich auch bei uns der neue Arbeitsbereich Holzwerkstatt schnell mit Leuten füllte.
Ganz anders war das bei dem damals der Holzwerkstatt zugeordneten Bereich der Ablaugerei. Diese dreckige (und auch gefährliche) Arbeit wollte niemand wirklich machen. Deshalb blieb dies am Anfang eine Domäne der Höchstmotivierten, die sich in die schlichte Notwendigkeit fügten. Denn ohne vorherige Beseitigung der Altlacke kann man nicht restaurieren.
Die Holzwerkstatt umfasste schnell 11 Mitarbeiter. Richtig: Mitarbeiter. Denn dies war – neben dem weiter existierenden Betrieb in Bonames – der Betriebsteil, in den wir nach unserer neuesten Entwicklungsdiskussion auch ‚Leute von außen‘ aufnahmen, ASH-Mitglieder also, die zwar mit uns arbeiteten, aber nicht in unseren Kollektiven wohnten.
Wie es zu diesen Veränderungen kam und was wir damit bezweckten, beschreiben wir auf der nächsten Seite.