Druck wegnehmen

Zunächst galt es, einen wirklichen Überblick über die Situation herzustellen. Man muss nicht nur Zahlen zusammenschreiben, um einen Gesamtstand der aufgelaufenen Schulden zu ermitteln, sondern muss auch herausfinden, welche dieser Schulden am dringendsten zu bedienen sind. Zentral wichtig ist in einer solchen Situation, zunächst den Gerichtsvollzieher zu bedienen und zu verhindern, dass weitere Rechnungen auf diesem Wege eingetrieben werden, denn das – in Verbindung mit überzogenen Dispo-Konten – ist so ziemlich der teuerste Weg, fällige Rechnungen zu bezahlen.

Folglich mussten in ungezählten Telefonaten Gläubiger beruhigt und dahin gebracht werden, sich mit Ratenzahlungen zufrieden zu geben.

Bei all dem half Arno Huber, Sozialwissenschaftler und erfahrener, in der Szene bekannter Berater. Arno ist ein alter Freund von Bine, dessen Kompetenz – sehr wichtig – auch bei der Stiftung Umverteilen anerkannt wurde. Hilfreich war auch der Auftritt unseres neuen Steuerberaters Klaus Fabing (der zwar in seinem Beruf nicht allzu kompetent war, aber wirkliche Freude daran fand, das Finanzamt zu ärgern und mit Institutionen hart für uns zu verhandeln). Und schließlich hatten wir Ralph Tiede und sein Softwareteam und damit sehr schnell ein Computerprogramm, mit dem die offenstehenden Rechnungen nach Prioritäten geordnet und bedient werden konnten (macht man heute problemlos mit Excel, aber das gab es damals noch nicht).

Trotzdem blieb die meiste (unangenehme) Arbeit an Bine hängen, die nach zweimonatiger Arbeit vermelden konnte, dass sich die Gerichtsvollzieherbesuche erledigt hatten und mit allen Gläubigern entsprechende Vereinbarungen getroffen waren. Der größte Druck war erstmal weg.

Betriebliche Sanierung

Die betriebliche Sanierung und Umstrukturierung erwies sich einfacher als gedacht. Sie folgte der Logik, Kosten soweit möglich zu reduzieren und umgekehrt Einnahmen, soweit möglich, zu erhöhen – nicht anders als bei jedem Betrieb, der in die Krise gerät. War es wirklich erstaunlich, dass es der verbliebenen Hälfte des Personals sogar leichter fiel, die anstehende Arbeit zu bewältigen?

Neue Personalstruktur in der Ablaugerei

In der Ablaugerei hatte sich in den letzten Monaten Niyazi Karabey, ein kurdischer Einwanderer mit Dauerperspektive in Deutschland, so gut eingearbeitet, dass sich Vincenzo, der diesen Bereich die letzten Jahre geführt hatte, zurückziehen und in den Antikladen wechseln konnte.

Niyazi war sowas wie der Chef seines Clans und konnte fast beliebig auf die personellen Ressourcen seiner Großfamilie zurückgreifen. Ihm die Führung der Ablaugerei zu überlassen, bedeutete, dass es fortan dort weder Personal- noch Führungsprobleme gab. Wann immer ‚Not am Mann‘ war, war binnen kürzester Zeit ein Familienmitglied zur Aushilfe oder zur Festanstellung verfügbar, wobei die Autorität des Familienoberhauptes ausreichte, einen weitgehend konfliktfreien betrieblichen Ablauf zu gewährleisten.

Die Geschäftsführung konnte sich daher auf die allgemeine Kontrolle der Abläufe, die pünktliche Bestellung von Materialien, den Ersatz defekter Teile und Werbemaßnahmen beschränken und ansonsten diesen Betriebsteil autonom (’selbstverwaltet‘) laufen lassen.

Neues Konzept für den Laden

Der Laden wurde nun von Anne und Vincenzo geführt, beide nicht nur langjährige bewährte Mitarbeiter*innen, sondern seit Jahren ASH-Gruppenmitglieder. Auch in diesem Bereich bedeutete Geschäftsführung daher nicht Kontrolle, sondern die Konzentration auf strategische Entwicklung, Ladengestaltung und geeignete Werbemaßnahmen.

Die Umsätze im Laden waren zuletzt dramatisch verfallen und hatten 1989 im Monatsdurchschnitt nur noch 35.000 DM betragen. Das Image war schlecht (’schmuddelig, schlecht aufgearbeitete Ware, zu hohe Preise‘). Das Warenangebot hatte sich mangels Restaurierungskapazitäten von eigener Ware immer mehr verlagert zu Kommissionsware von privat und von Kleinhändlern. Bei Verkauf wurden zwar 30% des Verkaufspreises von den Kommissionären einbehalten, ansonsten waren diese aber von jedem Risiko frei. Dies hatte dazu geführt, dass unansehnliche Möbel mit Phantasiepreisen versehen wurden: der Laden wurde zum Lager der Ladenhüter für Antiquitätenhändler bzw. zum Abstellplatz für Privatpersonen, die ihren antiken Schrott auf diese Weise loswerden konnten.

Das neue Konzept hieß nun: Senkung des Provisionsanteils auf 10% des Verkaufspreises (zuzüglich 2% für Werbeaufwand), dafür aber eine feste Miete für die genutzte Fläche. Die war – mit 28,- DM/qm – so berechnet, dass bei Vermietung von 75% der Gesamtladenfläche die Personal- und Betriebskosten und auch die an den HSH e.V., zu entrichtenden Mietkosten (damals 12,- DM/qm) gedeckt waren und der Provisonsanteil damit zu Reinerlös wurde. Vor allem lag das Verkaufsrisiko nun bei den Kommissionären, die jetzt im eigenen Interesse darauf achten mussten, qualitativ gute Ware in angemessenem Ambiente anzubieten und das Preisniveau entsprechend anzupassen.

Das Konzept war erfolgreich. Zwar hatten wir außer ein paar Litern Farbe keine Mittel, die Ladenflächen optisch aufzuwerten und ist es prinzipiell schwierig und langwierig, einen ruinierten Ruf wieder herzustellen – trotzdem gelang es noch in 1990, die Umsätze auf 42.000 DM monatlich zu steigern. 1991 waren das schon 49.000 DM monatlich. Am Ende dieses Jahres war der Bestand an Eigenmöbeln weitgehend abgebaut (und hatte sich in dringend benötigte liquide Mittel verwandelt). Der Laden machte nun fast ausscshließlich Kommissionsgeschäfte.

Der Rest der Betriebe

Für die Textline GmbH waren die Jahre 1985 bis 1989 Experimentier- und Verlustjahre gewesen. Mit der unklar definierten Aufgabenstellung zwischen EDV-Entwicklung einerseits und Satztechnik andererseits war kein klarer Überblick über die Geschäftstätigkeit zu gewinnen und damit kein klarer Vorstoß auf den Markt möglich gewesen.

Zwar hatten wir diese Situation mit Gründung der Softwareteam GmbH (die die weitere Softwareentwicklung eigenständig übernahm) schon im Herbst 1989 beendet, aber auch in diesem Jahr noch Verluste angehäuft. In das Jahr 1990 war die Texline GmbH mit Vorlaufverlusten von rund 300.000 DM gestartet. Nun begann die Aufholjagd. Mit Erfolg: eine Menge neuer Kunden konnte gewonnen werden, u.a. produzierte Textline ab Frühjahr 1990 den Allgemeinen Hochschulanzeiger der FAZ. Im Geschäftsjahr 1990 gelang ein Bilanzgewinn von 160.000 DM. Die Vorlaufverluste waren auf ’nur noch‘ 140.000 DM abgebaut.

Da auch das Softwareteam einen guten Start hinlegte und Ende 1990 mit Programmieraufträgen mehr als ausgelastet war, schienen sich unsere Hoffnungen in die Rettung durch den zukunftsträchtigen Bereich der EDV nun doch noch zu erfüllen.

Blieb noch die Restaurierungswerkstatt. Die wurde, da nie wirklich wirtschaftlich, nun endgültig aufgegeben und den beiden vorhandenen Mitarbeitern Mehmet und Anes in Eigenregie übergeben. Die blieben – als Eigenunternehmer – also ebenfalls selbstverwaltet, nur dass hier (seitens der Krebsmühle GmbH) keine Löhne mehr gezahlt werden mussten, sondern (vom HSH e.V.) Mieten eingenommen werden konnten.

Neue Perspektiven beim HSH e.V.

Nach wie vor waren drei Mühlenstockwerke nicht ausgebaut und ungenutzt. Die ehemaligen ARENA-Theaterräume standen leer. Ein komplettes Stockwerk im ‚Alten Haus‘ war ungenutzt. Und es gab nach wie vor keine Klarheit über das weitere Schicksal der zur Diskothek umgebauten ehemaligen Café-Räume. Klar war hier (seit dem 10.4.90) nur, dass der Betrieb als Disco nicht aufgenommen würde und eine Abfindung von 160.000 DM gezahlt werden müsste, damit der Vertrag aufgelöst und die Räume anderweitig verwendet werden könnten.

Das waren also die aktuellen Baustellen beim Verein. Nur über eine Nutzung (Vermietung) dieser leerstehenden Räume konnten die dringend benötigten zusätzlichen Mittel zur Schuldentilgung aufgebracht werden.

Lösungsansätze

Einen Teil des Problems löste Publik Forum mit der Anmietung des dritten Mühlenstockwerks und der damit verbundenen Erhöhung der Quadratmetermiete von 10 auf 11 DM.

Für das Stockwerk im ‚Alten Haus‘ fand sich eine vorübergehende Vermietung an die Aktion Perestroika, die mit dem Gorbatschow-Spruch ‚Die Angst muss von der Erde verschwinden‘ um Spenden für ‚Initiativen in der UDSSR‘ warb, ‚die auf eine demokratische und ökologische Gesellschaft hinarbeiten‘. Das wollten wir gerne unterstützen und stellten die Räume für einen solidarischen, eher symbolischen Preis von pauschal 1.000 DM für einen Dreimonatszeitraum zur Verfügung. Dass wir damit nicht wie gehofft etwas gutes getan, sondern unwissentlich eine obskure Sekte bei ihren betrügerischen Aktivitäten unterstützt hatten, erfuhren wir erst – leider zu spät – durch die TAZ.

Der neu hergerichtete Theatersaal. Von der alten ARENA blieben noch die roten Kinosessel.

Die meisten Hoffnungen für eine neue Offensive der Krebsmühle entstanden, als sich mit Christine Salzmann und dem N.N.-Theater eine freie Theatergruppe fand, die die ARENA -Räume inklusive unseres kaum genutzten Betriebscafé-Raumes (jetzt zum Foyer umgebaut) komplett anmieten und in eigener Regie als Theaterraum betreiben wollte. Wir waren begeistert, dachten wir doch, auf diese Weise die Tradition unseres Theaters in der Krebsmühle – nur diesmal ohne Subventionen – fortführen zu können. Das letzte Geld wurde zusammengekratzt, um die Räume ansehnlich herzurichten.
Die Betreiber starteten mit großen Plänen (siehe den beigefügten Artikel aus unserer Stadtgrenze) und großem Engagement. Das sah sehr gut aus – zumal auch die Presse (nebenstehend der Aufmacher der Frankfurter Nachrichten zu ihrem Bericht) wie erhofft die Krebsmühle nach langer Zeit wieder wahrnahm.

Dass wir ‚das Konzept Selbstverwaltung aufgegeben‘ hätten, taucht in diesem Artikel zum ersten mal hervorgehoben (blau unterlegt) auf.
In den vielen – durchweg positiven – Berichten über die Krebsmühle, die in der Zukunft noch folgen sollten, blieb das niemals unerwähnt und wurde sowas wie ein Leitmotiv. Es war ja nicht abzustreiten (und mit dem Hinweis, dass in den Krebsmühle-Betrieben de facto durchaus autonom = selbstverwaltet gearbeitet wurde, nicht zu entkräften), bedeutete aber immer wieder einen Stich ins Herz.

Auch für die jetzt noch leerstehenden Räume gab es einen Plan (auf den uns Arno Huber gebracht hatte). Die 90er Jahre waren de Zeit der ersten großen Flüchtlingswelle. Überall hausten Flüchtlinge in Notunterkünften, Zelten, Turnhallen oder in heruntergekommenen Hotels. Wie wäre es, aus den ungenutzten Räumen der Krebsmühle menschenwürdigen Wohnraum für Flüchtlinge zu machen? Ende Mai unterbreiteten wir dem Hochtaunuskreis ein entsprechendes Angebot und traten in Verhandlungen dazu ein.

Neue Offensive: Wiederaufleben der ‚Stadtgrenze‘

Dies alles schien Grund genug, einer breiteren Öffentlichkeit mitgeteilt zu werden, zumal für die Betriebe, das veränderte Ladenkonzept und das ARENA-Programm Werbung gemacht werden musste. Naheliegend war der Gedanke, dazu unsere Hauszeitung ‚Stadtgrenze‘ wiederzubeleben.

Der Leitartikel der ersten Ausgabe (15 Jahre danach … aus subjektiver Sicht) beschreibt den Stand der Dinge und unsere Pläne für die nahe Zukunft in großer – und durchaus selbstkritischer – Offenheit.

Geplant war (in bekannter Selbstüberschätzung), die neue Stadtgrenze 4 mal jährlich erscheinen zu lassen. Dazu reichte aber unsere Kraft nicht und es fehlte an Themen. So blieb es bei den beiden Ausgaben im Jahr 1990.

Für unser Satz- und Belichtungsstudio Textline war die Zeitungsproduktion ein wunderbares Experimentierfeld. Mussten in der ersten Ausgabe die Fotos noch herkömmlich montiert (eingeklebt) werden, war das Satzprogramm ‚Textline‘ ein halbes Jahr später so weit entwickelt, dass Text und Bilder am Computer zusammengefügt und komplette ’seitenglatte‘ Filme ausgegeben werden konnten – die Voraussetzung für die Produktion des Allgemeinen Hochschulanzeigers der FAZ und die komfortable Erstellung der CONTRASTE.

© Hilfe zur Selbsthilfe e.V.