Wenn´s dem Esel zu wohl wird …
Niemand hätte das wohl ernsthaft prognostiziert, aber tatsächlich war es gelungen, in den drei Jahren seit dem Ende der ‚alten ASH‘ Anfang 1990 sowohl den HSH e.V. als auch die Krebsmühle GmbH – beide damals hoffnungslos überschuldet – zu sanieren. Das war ein Produkt der Zusammenarbeit zwischen Bine und mir – für mich noch heute das absolute Dreamteam. Ein ganz wesentlicher Teil davon beruht auf der Arbeit von Bine, nicht ’nur‘ wegen ihrer planerischen Arbeit und Bauleitung, sondern auch, weil sie aus ihrem Kasseler Freundeskreis viele kreative Menschen für die Mitarbeit in der Krebsmühle aktivierte. Ganz besonders ist dabei Regina Engel zu nennen, die es schaffte, den ‚gordischen Knoten‘ zu zerschlagen und die auf Dauer nicht haltbare Verquickung zwischen der Vereins- und der betrieblichen Ökonomie aufzulösen.
Ein Perspektivenpapier vom März 1992 zeigt die schon nach dem Bau der Möbelhalle wieder erwachende Phantasie und Kreativität.
Ruhe ist nicht angesagt
Man hätte sich auf diesem Erfolg mal eine Weile ausruhen, sich auf die Krebsmühle konzentrieren und alles ein wenig entschleunigen können. Das war aber nicht unser Ding, zumal nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung ‚die Szene‘ scheintot und ‚zuhause‘ kein Ansatz für neues politisches Engagement erkennbar war.
Liegt die Zukunft im Osten?
Natürlich waren wir nach der Maueröffnung bei einem Berlinbesuch auch mal ‚rüber in den Osten‘ spaziert, hatten aber ansonsten keine Ahnung von dem Land. Was war da los? Wären die ’sozialistisch‘ sozialisierten Arbeiter ‚drüben‘ vielleicht aufgeschlossener für die Selbstverwaltung als ihre westlichen Kollegen? Wäre eine zweite Krebsmühle hier denk- und möglichweise politisch erfolgreicher durchführbar? Was war mit den vollmundig verkündeten ‚blühenden Landschaften‘ – könnte der dafür nötige Aus- und Umbau Basis eines Betriebes mit Laugerei, Restaurierungswerkstatt und Möbelverkauf wie in der Krebsmühle sein? Die relative Ruhe in der Krebsmühle bot die Gelegenheit für Erkundigungen.
Puh, war das grau und stinkig!
Gesucht haben wir entlang der B95 zwischen Leipzig und Chemnitz und deren Umfeld. Das Bild, das sich bot, war erschreckend grau und heruntergekommen. Ganz eindeutig aber war, dass es einen riesigen Bedarf an Entlackungs- und Restaurierungsarbeiten geben würde und sich ein Ablaugereibetrieb auf jeden Fall lohnen müsste. Ausserdem fanden wir auf einer Nebenstrecke, in Lippersdorf, mitten im Thüringer Wald und nur etwa 20 km entfernt von Jena, das Ferienlager ‚Valentina Tereschkowa‘ des ehemaligen VEB Leichtmetallbaukombinats Leipzig das recht gut erhalten, sofort nutzbar und für den Preis von schlappen 114.000 DM zu haben war.
Das schien eine risikolose Möglichkeit zum Entspannen für die Krebsmühle-Belegschaft, unsere Freunde und Vereinsmitglieder und wäre der ideale Ausgangspunkt für die weitere Suche nach einer ‚zweiten Krebsmühle‘ im Osten. Eine entsprechende Finanzierungsanfrage mit Entwicklungsbeschreibung und Perspektiven schickten wir an unseren Gönner Rainer Daum bei der EKK, der umstandslos bereit war, das Projekt zu finanzieren (ja, so einfach ging das damals).
Fabrikgebäude Burkhardtsdorf
Unsere ‚zweite Krebsmühle‘ wurde dann nicht die in dieser Finanzierungsanfrage geschilderte Brikettfabrik in Neukirchen bei Leipzig (mit der wir uns ziemlich sicher verhoben hätten), sondern eine Textilfabrik aus den 1920er Jahren am Ortseingang von Burkhardtsdorf, direkt an der B95 Richtung Tschechien. Ein in Frankfurt wohnhaftes Mitglied der Erbengemeinschaft hatte uns den Tipp gegeben, so dass wir ohne die Treuhand verhandeln konnten. Das Gebäude war in vergleichsweise gutem Zustand und mit ein paar Grundinvestitionen (Einbau einer neuen Zentralheizung) in Betrieb zu nehmen.
Mit 4 Stockwerken á 600 qm, dazu Vollunterkellerung und Dachboden, einer Laderampe mit großem Lastenaufzug (alte DDR-Technik, nicht tot zu kriegen) war dies bei einem Kaufpreis von 800.000 DM ein echtes Schnäppchen. Das fand auch Rainer Daum bei einer Besichtigung vor Ort, so dass die Finanzierung von 1 Mio DM (200.000 DM für Ausbaumaßnahmen) kein Problem darstellte. Kreditnehmer war in diesem Fall die Krebsmühle GmbH, der das Gebäude noch heute gehört.
In Erwartung der ‚blühenden Landschaften‘ …
Die schienen sich tatsächlich anzudeuten. Jedenfalls gewann der Ausbau der Infrastruktur – vor allem der Neubau der A4 ab Eisenach bis zunächst Chemnitz, dann Dresden und schließlich Görlitz zur dreispurigen Rennstrecke – deutlich an Kontur. Die Lage des Gebäudes unmittelbar hinter Chemnitz, gleich hinter der der ersten Anhöhe im Eingang zum Erzgebirge, mit nur etwa 15 Minuten Fahrtzeit zur Autobahn und von da mit 70 km Entfernung entweder nach Leipzig oder Dresden war ausgesprochen günstig. Außerdem führt der Touristenverkehr von Chemnitz in´s Erzgebirge und weiter nach Tschechien unmittelbar am Gebäude vorbei.
Jetzt mussten sie nur noch kommen, die blühenden Landschaften und mit ihnen die zahlungskräftigen Kunden …