Einzug der Waldorfschule

Im Umkreis des Waldorfkindergartens in Niederursel (einem Frankfurter Anthroposophenzentrum) hatten schon seit 1985 Überlegungen stattgefunden, eine eigene Waldorfschule zu gründen, weil die Frankfurter Waldorfschule überfüllt war. Im April 1987 wurde dazu ein Förderverein gegründet, der an den ‚Gründungswilligen-Treffen‘ des Bundes der freien Waldorfschulen teilnahm und im März 1993 als Freie Waldorfschule (FWS) Vordertaunus in diesen Bund aufgenommen wurde.

Waldorfschule in der Krebsmühle; Flur zu den Klassenräumen

1991 war die erste Klasse – geführt und betreut als ausgelagerte ‚Balkonklasse‘ von der FWS Frankfurt – in den Räumen der freien Bildungsstätte ‚Der Hof‘ in Niederursel gestartet. Allerdings war dort nicht mehr Platz. Deshalb suchte der Förderverein nach neuen Räumen und fand die in der Krebsmühle. Zug um Zug wurden hier neue Räume für die Erweiterung angemietet – zunächst das gesamte obere Stockwerk des Hauptgebäudes, später dazu die Räume des Kindergartens, der nach 5 Jahren seinen Daseinszweck erfüllt hatte.

Mit der dritten Klasse besuchten 1993 bereits 70 Schüler die Waldorfschule in der Krebsmühle. Da ein Erweiterungsbau für die Schule nicht möglich war, stieß auch dieses Projekt schließlich an seine Grenzen, ‚hielt‘ aber bis zur achten Klasse 1999.

Danach fand die Waldorfschule in Oberursel auf dem von den Amerikanern verlassenen Camp-King-Gelände Platz und Gebäude für eine eigene Schule.

Ausgebucht

Bis dahin waren sämtliche verfügbaren Räume in der Krebsmühle komplett ausgebucht. Das spiegelte sich natürlich in den Mieteinnahmen (hier eine Aufstellung aus dem Jahr 1993 mit Prognose bis 1995). Für eine Reihe von Jahren war die Ökonomie des Vereins damit gut abgesichert.

Selbst das Außengelände war begehrt: hier hatten wir zwei jungen Landschaftsgärtnern ihren Start als Firma ‚Grätz&Göldner‘ ermöglicht. Für eine geraume Zeit entstanden hier im wahrsten Sinne ‚blühende Landschaften‘, solange jedenfalls, bis Grätz&Göldner ein eigenes Gebäude in Weißkirchen bezogen. Die Firma fungiert heute als Gartenbaubetrieb Michael Grätz.

Geblieben ist die Blockhütte, die eine Weile als Vereinsbüro diente und heute das Domizil unserer Hausmeisterei ist.

Kredit- und Kapitaldienstentwicklung

Der Einnahmenseite steht natürlich die Entwicklung der Verschuldung und des damit verbundenen Kapitaldienstes (Zins und Tilgung) gegenüber. Eine solche Tabelle haben wir 1993 erstellt. Die sieht zwar mit einem aktuellen Schuldenstand von 5,47 Mio DM und dem Auslaufen mehrerer Kredite bis 1995 angesichts der gleichzeitigen Miteinnahmen sehr gut aus – es fehlen aber noch die Kredite für den Umbau der Hofgebäude. Tatsächlich erhöhte sich der Kreditstand bei der EKK bis 1995 um 3,2 Mio DM auf 5,1 Mio DM und erreichte damit insgesamt gut 7 Mio DM – eine stolze Summe, wenn man bedenkt, dass sich der Zinssatz damals um die 7% bewegte, also fast 40.000 DM monatlich alleine für die Zinsen aufgebracht werden mussten.

Betriebliche Entwicklung im Laden …

Trotzdem waren wir guten Mutes. Denn auch die betriebliche Entwicklung ging munter voran. Zwar dümpelte der Satzbetrieb Textline vor sich hin und wurde mangels Perspektiven und wegen Arbeitsüberlastung wenig später aufgegeben. Dafür war die Entwicklung in den Kernbetrieben Antikladen und Ablaugerei bestens. Nach dem Bau der Möbelhalle und der Sanierung der Ladenflächen stieg der Monatsumsatz im Laden von 49 TDM (1991) auf 89 TDM (1992) und erreichte in 1993 bereits 124 TDM.

… und in der Laugerei

Fast noch rasanter vollzog sich die Entwicklung in der Laugerei nach dem Neubau und dem Einbau der Sinis-Technik. Die hatten wir noch erweitert um eine Glasgries-Strahlanlage (zur Entlackung von furnierten Möbeln) und eine Holzwurmkammer für die biologische Vernichtung von Holzschädlingen. Damit hatten wir die aktuell technisch beste Entlackungsanlage bundesweit – und die klar greifbare Kundenzielgruppe in Gestalt von Antikhändlern und Malerbetrieben.

Flugs wurde unser Büroprogramm um Mail- und Sortierfunktionen erweitert und schon konnte es losgehen mit der gezielten Werbung. Die Adressaten ließen sich aus den Gelben Seiten herausschreiben, dann anmailen und per Telefonakquise nachbearbeiten.

Nachdem wir zusätzlich noch (bei befreundeten Antikhändlern) regionale Annahmestellen für Laugegut eingerichtet (und dafür einen LKW mit Wechselkoffersystem angeschafft) hatten, gab es kein Halten mehr und wir hatten ein Luxusproblem: den Aufträgen Herr zu werden.

Wenn´s dem Esel zu wohl wird …

Niemand hätte das wohl ernsthaft prognostiziert, aber tatsächlich war es gelungen, in den drei Jahren seit dem Ende der ‚alten ASH‘ Anfang 1990 sowohl den HSH e.V. als auch die Krebsmühle GmbH – beide damals hoffnungslos überschuldet – zu sanieren. Das war ein Produkt der Zusammenarbeit zwischen Bine und mir – für mich noch heute das absolute Dreamteam. Ein ganz wesentlicher Teil davon beruht auf der Arbeit von Bine, nicht ’nur‘ wegen ihrer planerischen Arbeit und Bauleitung, sondern auch, weil sie aus ihrem Kasseler Freundeskreis viele kreative Menschen für die Mitarbeit in der Krebsmühle aktivierte. Ganz besonders ist dabei Regina Engel zu nennen, die es schaffte, den ‚gordischen Knoten‘ zu zerschlagen und die auf Dauer nicht haltbare Verquickung zwischen der Vereins- und der betrieblichen Ökonomie aufzulösen.

Ein Perspektivenpapier vom März 1992 zeigt die schon nach dem Bau der Möbelhalle wieder erwachende Phantasie und Kreativität.

Ruhe ist nicht angesagt

Man hätte sich auf diesem Erfolg mal eine Weile ausruhen, sich auf die Krebsmühle konzentrieren und alles ein wenig entschleunigen können. Das war aber nicht unser Ding, zumal nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung ‚die Szene‘ scheintot und ‚zuhause‘ kein Ansatz für neues politisches Engagement erkennbar war.

Liegt die Zukunft im Osten?

Natürlich waren wir nach der Maueröffnung bei einem Berlinbesuch auch mal ‚rüber in den Osten‘ spaziert, hatten aber ansonsten keine Ahnung von dem Land. Was war da los? Wären die ’sozialistisch‘ sozialisierten Arbeiter ‚drüben‘ vielleicht aufgeschlossener für die Selbstverwaltung als ihre westlichen Kollegen? Wäre eine zweite Krebsmühle hier denk- und möglichweise politisch erfolgreicher durchführbar? Was war mit den vollmundig verkündeten ‚blühenden Landschaften‘ – könnte der dafür nötige Aus- und Umbau Basis eines Betriebes mit Laugerei, Restaurierungswerkstatt und Möbelverkauf wie in der Krebsmühle sein? Die relative Ruhe in der Krebsmühle bot die Gelegenheit für Erkundigungen.

Puh, war das grau und stinkig!

Gesucht haben wir entlang der B95 zwischen Leipzig und Chemnitz und deren Umfeld. Das Bild, das sich bot, war erschreckend grau und heruntergekommen. Ganz eindeutig aber war, dass es einen riesigen Bedarf an Entlackungs- und Restaurierungsarbeiten geben würde und sich ein Ablaugereibetrieb auf jeden Fall lohnen müsste. Ausserdem fanden wir auf einer Nebenstrecke, in Lippersdorf, mitten im Thüringer Wald und nur etwa 20 km entfernt von Jena, das Ferienlager ‚Valentina Tereschkowa‘ des ehemaligen VEB Leichtmetallbaukombinats Leipzig das recht gut erhalten, sofort nutzbar und für den Preis von schlappen 114.000 DM zu haben war.

Das schien eine risikolose Möglichkeit zum Entspannen für die Krebsmühle-Belegschaft, unsere Freunde und Vereinsmitglieder und wäre der ideale Ausgangspunkt für die weitere Suche nach einer ‚zweiten Krebsmühle‘ im Osten. Eine entsprechende Finanzierungsanfrage mit Entwicklungsbeschreibung und Perspektiven schickten wir an unseren Gönner Rainer Daum bei der EKK, der umstandslos bereit war, das Projekt zu finanzieren (ja, so einfach ging das damals).

Fabrikgebäude Burkhardtsdorf

Unsere ‚zweite Krebsmühle‘ wurde dann nicht die in dieser Finanzierungsanfrage geschilderte Brikettfabrik in Neukirchen bei Leipzig (mit der wir uns ziemlich sicher verhoben hätten), sondern eine Textilfabrik aus den 1920er Jahren am Ortseingang von Burkhardtsdorf, direkt an der B95 Richtung Tschechien. Ein in Frankfurt wohnhaftes Mitglied der Erbengemeinschaft hatte uns den Tipp gegeben, so dass wir ohne die Treuhand verhandeln konnten. Das Gebäude war in vergleichsweise gutem Zustand und mit ein paar Grundinvestitionen (Einbau einer neuen Zentralheizung) in Betrieb zu nehmen.

Mit 4 Stockwerken á 600 qm, dazu Vollunterkellerung und Dachboden, einer Laderampe mit großem Lastenaufzug (alte DDR-Technik, nicht tot zu kriegen) war dies bei einem Kaufpreis von 800.000 DM ein echtes Schnäppchen. Das fand auch Rainer Daum bei einer Besichtigung vor Ort, so dass die Finanzierung von 1 Mio DM (200.000 DM für Ausbaumaßnahmen) kein Problem darstellte. Kreditnehmer war in diesem Fall die Krebsmühle GmbH, der das Gebäude noch heute gehört.

In Erwartung der ‚blühenden Landschaften‘ …

Die schienen sich tatsächlich anzudeuten. Jedenfalls gewann der Ausbau der Infrastruktur – vor allem der Neubau der A4 ab Eisenach bis zunächst Chemnitz, dann Dresden und schließlich Görlitz zur dreispurigen Rennstrecke – deutlich an Kontur. Die Lage des Gebäudes unmittelbar hinter Chemnitz, gleich hinter der der ersten Anhöhe im Eingang zum Erzgebirge, mit nur etwa 15 Minuten Fahrtzeit zur Autobahn und von da mit 70 km Entfernung entweder nach Leipzig oder Dresden war ausgesprochen günstig. Außerdem führt der Touristenverkehr von Chemnitz in´s Erzgebirge und weiter nach Tschechien unmittelbar am Gebäude vorbei.

Jetzt mussten sie nur noch kommen, die blühenden Landschaften und mit ihnen die zahlungskräftigen Kunden …

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