Bine im Vereinsbüro Anfang 1990
Die ‚Ära Bine‘ beginnt
Bine ist nicht zufällig auf die Krebsmühle gestoßen, sondern wurde – als gerade ausgelernte Architektin – von uns gefragt, ob sie nicht ein Gesamtkonzept für den weiteren Ausbau der Krebsmühle entwickeln wolle. Dass dies nicht bei ein paar Terminen blieb, sondern ab Juli 1989 zu einer echten Mitarbeit in der Gruppe wurde, war nicht abzusehen. Noch weniger, dass sie später eine neue Ära der Krebsmühle begründen und diese – nebenbei – vor dem Untergang bewahren würde.
Dies ist allemal Grund genug, sie hier ausführlich vorzustellen und zu würdigen. In einem Brief an die Stiftung Umverteilen hat sie am 1.7.90 ihre (politische) Herkunft, Situation und Motivation selbst beschrieben:
Bine Joswig
Ich bin jetzt fast genau ein Jahr hier, eine ziemlich kurze Zeit angesichts der nun fast 15 Jahre, die es dieses Projekt direkt am Rande des künftigen Wirtschaftszentrums Europas gibt. Trotzdem bin ich in eine Position reingerutscht, wo ich täglich mit der Verantwortung über 25 Personen und dieses riesige Gelände zu tun habe. Eine Verantwortung, die mir angesichts des Schuldenbergs und der sehr unsicheren Zukunft oft Bauchschmerzen macht.
Ich bin damals von Karl gefragt worden, ob ich ein Gesamtkonzept für die Planung der Gebäude entwickeln will. Für mich war klar, von ‚draußen‘ kann man für ein solches Projekt nichts planen, also habe ich gesagt – was auch meinem Verständnis von Planung überhaupt entspricht -, dann ziehe ich ganz hierher und baue ein stichhaltiges Konzept mit den Leute vor Ort auf.
Ich bin schon mit 15 Jahren in die Selbstverwaltung reingewachsen (Jugendzentrum, CONTRASTE, Wohnprojekte in Kassel und zum Schluss die ‚Weiberwirtschaft‘ in Berlin). Ich hatte im März 1989 bereits eine Wohnung in Berlin und wollte mit Ricarda Buch weiterarbeiten an der Genossenschaft für Frauen, eben der ‚Weiberwirtschaft‘. Das Konzept war fertig und lag schon bei Momper auf dem Schreibtisch. Aber ganz befriedigt hat mich die Perspektive nicht. Wir hätten eine ABM-Stelle für mich beantragt und dann wäre verhandelt worden, diskutiert worden, theoretisiert worden, weil es keinen konkreten Ansatz gab – und bis jetzt auch nicht gibt-, sprich: es gibt für die ‚Weiberwirtschaft kein Gelände in Berlin.
Nicht, dass ich die Projektidee nicht gut finde, nur für mich, habe ich gemerkt, ist das nichts. Ich will anpacken, die Ärmel hochkrempeln und loslegen, nicht abwarten, bis irgendeine staatliche Stelle einen Zuschuss bewilligt oder Ähnliches. Ich kann politische Arbeit auch nicht nach Feierabend machen. Hier in der Krebsmühle – habe ich gemerkt – kann ich alles verbinden, meine beruflichen Kenntnisse, meine politischen Vorstellungen und meine Erfahrungen, mein Engagement, meine Ideen, meinen Kopf und meinen Bauch – und das Ganze nicht in Papieren, sondern ium Alltag und der Realität.
Wie sehr das Projekt allerdings damals schon am Boden lag, wusste ich nicht und wussten auch alle anderen nicht. Dass es finanzielle Schwierigkeiten gab, war klar, aber der Eindruck, den das ‚Büro‘ vermittelt hat auf den Plenen etc. war der, dass man alles noch in der Hand hätte. Dass dem absolut nicht so war, habe ich mit brutaler Härte erfahren, als Susanne im März innerhalb von ein paar Tagen den Löffel geschmissen hat und ich alleine vor einem Schreibtisch saß, auf dem sich in einem völligen Durcheinander unbezahlte Rechnungen, unbeantwortete Briefe und aller möglicher Papierkram zu zehn Zentiemetern hohen Stapeln angesammelt hatte; eine Zeit, wo alle 5 Minuten das Telefon klingelte und ich einen aufgeregten Gläubiger beruhigen musste, in der der Gerichtsvollzieher mir fast täglich seine Aufwartung machte, wo es niemanden im Betrieb mehr gab, der nicht mindestens eineinhalb Löhne im Rückstand war, dabei Kollegen mit Familie und bis zu 4 Kindern. Vielleicht wäre es das beste gewesen – und das sagt mir meine Mama wöchentlich am Telefon, weil sie sich Sorgen um meine Gesundheit macht – den Löffel gleich wieder zurückzugeben und zu sagen ‚Leckt mich doch!‘ Warum soll ich, wo es doch so viel anderes zu tun gibt, mich jetzt hier mit Schulden herumschlagen, die ich gar nicht gemacht habe? Die goldenen Jahre sind vorbei. Über 250 Leute haben sich hier ausgelebt und ihren Spaß dabei gehabt. Die sind jetzt fast alle weg und ich sitze vor einm Berg von Problemen. Dieter wollte mich wieder voll für die CONTRASTE haben, die TAZ wollte mich in Hamburg, Ricarda wollte mich für die ‚Weiberwirtschaft‘ und meine ganzen Kasseler Freundinnen wollten mich auch zurück.
Was mich dann gehalten hat und immer wieder hält, ist die Skyline von Frankurt mit ihren immer höher wachsenden Protztürmen von Macht und Kapital, der ich hier auf diesem Gelände an der Stadtgrenze (leider ‚Grenze‘, denn nicht einmal von den Zuckerbrötchen einer Stadt wie Frankfurt können wir hier profitieren. Wir gehören nun mal zu Oberursel und Oberursel ist schwarz wie die Nacht, geizig und hinterwäldlerisch) etwas entgegensetzen will. Ich werde mich nicht damit abfinden, dass unsere Ideen und Utopien gescheitert sind …
Und weiter geht´s
Bine prägt – nicht nur als Architektin – die folgenden Jahre. Statt zurückzugehen zu ihren Freundinnen nach Kassel, hat sie im Gegenteil diese (und viele Leute mehr aus ihrem persönlichen Umfeld) zur Unterstützung in die Krebsmühle geholt. Ohne Bine und ihre Freund*innen gäbe es zwar heute wohl immer noch eine Krebsmühle, aber sicher nicht unsere Krebsmühle im Besitz des HSH e.V.