Projektemesse 1982
Auch 1982 segelten wir mit der Projektemesse im Windschatten der Gegenbuchmesse, die erneut in der Krebsmühle stattfand. Wieder konnten wir von der durch sie erzeugten öffentlichen Beachtung profitieren.
Mit dem Unterschied, dass diesmal die Hessenschau einen 5-Minuten-Beitrag eigens zur Projektemesse brachte. Der Sprechertext: „Aus der ganzen Bundesrepublik sind selbstverwaltete Betriebe zusammengekommen, Betriebe ohne Chef, ohne Hierarchie und ohne Druck von oben.
Sie wollen zeigen, dass sie trotz aller Unkenrufe nicht untergegangen sind, im Gegenteil, dass sie sich schon fast etabliert haben. Eine etablierte Alternative auf dem Weg zu einem neuen, einem eigenen Wirtschaftszweig“.
Hat uns gefallen, ohne Frage, genauso wie das im Hintergrund deutlich sichtbare Plakat ‚Leben und Arbeit selbstgestalten‘.
Tatsächlich gekommen waren diesmal 20 Gruppen – die Vernetzung kam voran. Für mehr Gruppen hätten wir auch nicht genügend Platz gehabt, weil ja die verfügbaren Räume von der Gegenbuchmesse beschlagnahmt waren und uns für die Projektedarstellung wie im letzten Jahr wieder nur das Zelt der ufaFabrik blieb.
Diese hatte diesmal ihr brandneues großes Zirkuszelt mitgebracht, und in diesem gab es – neben diversen Diskussionen – ein attraktives Kulturprogramm mit den 3 Tornados, Familie Schmidt, den Frankfurter Spielfrauen – große und zugkräftige Namen damals in der Szene.
Kein Wunder also, dass wir – auch jenseits des Gegenbuchmessepublikums – regen Zulauf hatten und die Projektemesse von allen als Erfolg gefeiert wurde. Es bedurfte keiner größeren Überzeugungsarbeit für die Entscheidung, die Tradition der Projektemessen auch im kommenden Jahr fortzusetzen.
Projektemesse 1983 – Aufbruchstimmung
1983 wagten wir den großen Schritt – eine Messe selbstverwalteter Betriebe ohne ‚Rückendeckung‘ durch die Gegenbuchmesse. ‚Nur‘ mit der Darstellung und den Diskussionen rund um die Selbstverwaltung genügend öffentliches Interesse zu wecken, überhaupt auch genügend Projekte zur Teilnahme zu bewegen, um die Messe interessant zu gestalten – könnte das gelingen?
Dass es nicht nur gelang, sondern ein gewaltiger Erfolg wurde, war einerseits Ergebnis der Vernetzungsarbeit der letzten Jahre und lag zweitens daran, dass diesmal die gesamte Infrastruktur der Krebsmühle mit ihren 4 Mühlenstockwerken zusätzlich zum Veranstaltungszelt der ufaFabrik und dem Ausstellungszelt für Ausstellung und Diskussionen zur Verfügung stand.
Die Vorbereitung der Messe war Dauerthema in der ‚Betriebszeitung’sbeilage der TAZ, fand Beachtung im ‚Netzwerk Selbsthilfe‘ und führte erstmals zu einer Verständigung zwischen der ASH-‚Fraktion‘ und der ‚Sponti’fraktion der Betriebe in Frankfurt: gemeinsam wurde die Messe vorbereitet.
Ingenieurkollektive
Besonders attraktiv für Besucher und Presse war diesmal das breite Feld von Ingenieurkollektiven, die ihre Entwicklungen in den Bereichen Solar- und Windenergie, Energieeinsparung, Biogaserzeugung, Wärmekraft-Kopplungen (BHKW) und Wärmedämmung im ‚Energiezelt‘ und im Außengelände vorstellten. Der Hessische Rundfunk hat einen 45-Minuten-Filmbeitrag zu dieser Messe gemacht, aus dem wir einige Bilder entnehmen.
Windräder erreichen heute riesige Höhen und werden zu gigantischen Windparks zusammengefasst, Biogas wird längst im großen Maßstab gewonnen und Wärmekraftkopplungen (BHKWs) sind verbreitete Alltagstechnik. Man mag diese Ausstellung daher belächeln. 1983 steckte dies alles aber noch in den Anfängen und wurde kaum ernst genommen. So zeigen die Bilder auch heute noch, wie sehr Ingenieur-Kollektive aus der Selbstverwaltungsbewegung als Pioniere an dieser Entwicklung initiativ beteiligt waren.
Handwerker-Kooperation
Ein besonders schönes Beispiel für hochwertige handwerkliche Arbeit und Kooperation lieferten die Frankfurter holzverarbeitenden Selbstverwaltungskollektive in Zusammenarbeit mit Axt+Kelle und der ASH: Während der Messe entstand ‚aus dem Nichts‘ und zur Bewunderung der Gäste ein Kinderspielhaus, an dem solide Handwerkstechnik vorgeführt wurde.
Eine Messe in Selbstverwaltung …
Dies sollte keine Messe ‚der ASH‘ mit mehr oder weniger passiven Teilnehmern werden, sondern eine selbstverwaltete Messe, getragen von den ausstellenden Kollektiven. Deshalb wurde schon am Abend des Anreisetages das Organisationsplenum eingerichtet: Vertreter der angereisten Kollektive trafen sich ab 11 Uhr abends, diskutierten 2 Stunden lang die organisatorischen Notwendigkeiten für den nächsten Tag (z.B. Essensversorgung, Parkplatzdienste, notwendige Einkäufe etc.) und teilten die anstehenden Arbeiten unter sich auf.
Inhaltlich wurde in Arbeitsgruppen (AGs) und auch plenar im großen Veranstaltungszelt diskutiert. Die plenaren Diskussionen beschäftigten sich mit Themen wie ‚Hierarchie in selbstverwalteten Betrieben‘ oder ‚Konkurrenz untereinander und zu Normalbetrieben‘. In den AGs wurden die Dauerbrenner der Bewegung (Finanzierungsprobleme und deren Lösung, Öffentlichkeitsarbeit, Entwicklung gemeinsamer Strukturen) besprochen.
… mit großem Kulturprogramm
Das ‚Frankfurter Kurorchester‘ und das ‚vorläufige Frankfurter Fronttheater‘ mit dem großen Kabarettisten Matthias Beltz waren damals Show-acts mit garantiert ausverkauftem Haus. Dazu ‚Geyer Sturzflug‘ und der ufaFabrik-Zirkus – das Zelt tobte. Entspannter ging es zu bei den ‚Kölner Straßenmusikanten‘ unter freiem Himmel im Garten des ASH-Cafés und im Café selbst.
Ein euphorisches Erlebnis …
Die Projektemesse 1983 mit ihren 200 Kollektivisten aus 50 Betrieben war ein überwältigendes Ereignis. Sie erzeugte eine echte Aufbruchstimmung und nährte die Überzeugung, dass wir mit unseren Ideen und Experimenten ganz nah dran waren am Puls der Zeit. Wir hatten jetzt die öffentliche Aufmerksamkeit, um ernstzumachen mit unserem (jetzt kollektiven) Anspruch zur Veränderung der Gesellschaft. Wir würden mehr werden und uns weiter vernetzen. Gemeinsam würden wir noch stärker werden!
… auch für die ‚Macher‘
Natürlich war das Ganze ein Riesenstress für die, die das Messegeschehen organisatorisch am Laufen gehalten hatten. Aber wie es Hans Mönninghoff vom Energie- und Umweltzentrum Eldagsen im Interview ausdrückte: ‚Der Tag war voll. Den ganzen Tag, von 10 Uhr bis 8 Uhr, mit Besuchern und Ausstellern reden, dann 8 Uhr bis 11 Uhr Kultur oder Diskussion im Zelt, dann 11 Uhr bis 1 Uhr Organisationsplenum, dann wie tot in´s Bett. Ich fühle mich wie besoffen. Es war einfach toll …‘