Wie funktioniert eine Gruppe?

In den Aufbaujahren mit ihrer hektischen Entwicklung war der stabile Anker der ASH stets die Kerngruppe, d.h. die Leute, die von Anfang an dabei waren und die entbehrungsreichen Bonameser Jahre miteinander erlebt hatten.

‚Zusammen leben – zusammen arbeiten!‘

Der Kern der ASH, beim gemeinsamen Abendessen/Arbeitsbesprechung in Bonames (1975): Karl, Adu, Aggi, Gudrun, Chris

Die Einheit von Leben und Arbeit war in den Anfangsjahren so etwas wie ein Dogma der ASH. Dies wurde nach dem Einzug in die Krebsmühle im Zuge der Entwicklung mehr und mehr aufgegeben, weil es die personelle Erweiterung und damit die betriebliche Entwicklung behinderte. Einerseits kamen viele mit diesem Anspruch nicht zurecht, wollten sich nicht in dieser Weise voll und ganz in den ASH-Zusammenhang einbringen, sondern ihren individuellen Bezugsrahmen ‚aussen‘ behalten. Andererseits hatten wir immer wieder festgestellt, dass es für so enge Bezüge schlicht Grenzen gibt.

Begrenzte Gruppengröße

Bei Gruppengrößen jenseits von 10, maximal 15 Mitgliedern ist es nach unseren Erfahrungen nicht mehr möglich, intensive Beziehungen zueinander zu unterhalten, die auch die unmittelbar persönlichen Schwierigkeiten und Nöte, etwa die Probleme in Liebesbeziehungen mit einschließen. Dies gilt um so mehr, wenn der Alltag wenig Luft lässt, sich ‚in Ruhe‘ umeinander zu kümmern.

Nachhaltige Verlässlichkeit

Beim Interview 1987: Gudrun, Adu, Anne, Aggi, (Johannes), Karl, (Ralph)

1987 entstand der letzte (dritte) Fernsehfilm über die ASH. In diesem Beitrag gibt es ein Interview der Filmemacherin Edith Schmidt-Marcello mit einem Teil der Kerngruppe. Gudrun erzählt dabei, wie wichtig für sie die Jahre des engen Zusammenseins waren, dass dies die Erfahrungen miteinander waren, aufgrund derer es in den immer wieder auftauchenden Krisen möglich war, Fehler gemeinsam zu analysieren und zusammen den Weg zu finden, die Entwicklung trotz allem in positiver Richtung weiterzutreiben.
Aggi beschreibt die Intensität des Zusammenhalts damit, dass – entgegen sonstiger Erfahrungen – nach dem Auseinanderbrechen von Liebesbeziehungen beide Ex-Partner in der Gruppe verblieben sind.
Karl betont die ungeheure Sicherheit, die er daraus gewinnt, dass es in scheinbar ausweglosen Situationen eine Gruppe von Leuten gegeben hat, auf die man sich auf Biegen oder Brechen verlassen konnte. Sein Gefühl nach all den Jahren ist, dass es keine Situation gegeben hat, ‚der wir als Gruppe nicht gewachsen gewesen wären‘. „Normalerweise muss jeder sein Leben selbst auf die Reihe kriegen – ich muss mein Leben nicht alleine auf die Reihe kriegen: was immer passiert, wird von dieser Gruppe aufgefangen werden.“

Gruppenführung

Dass bei plenaren Diskussionen die Entscheidungen von allen gemeinsam erdiskutiert und getragen werden ist ein Fetisch. Es gibt die Wortführer, es gibt die Schweiger und es gibt die, die meinen, sich profilieren zu müssen. Bei 40 (in Spitzenzeiten 60) Personen im Plenum führt das leicht zum Chaos und zur Beliebigkeit, wenn nicht einige die aktuellen Probleme schon vorher durchdrungen und Lösungsmöglichkeiten miteinander besprochen haben. Es ist zudem nicht so, dass alle, die zusammen etwas entscheiden, dann danach auch bereit sind, die Konsequenzen dieser Entscheidungen zu tragen. Betretenes Schweigen herrschte zum Beispiel immer, wenn Woche für Woche 50.000 DM an Privatkrediten umzuschulden waren und entsprechend neue Kreditgeber gefunden werden mussten. Lösungen dafür zu finden blieb zumeist das ‚Privileg‘ der Kerngruppe.

Adu´s Tod – Zerfall der Kerngruppe

Wie sensibel  ein solches Gruppengeflecht aber ist, zeigte sich unvermittelt nach Adu´s plötzlichem Tod 1988. Adu war zwar nie der große Treiber in der Gruppe, aber ein ruhender Pol und immer ansprechbar auch für persönliche Probleme. Nach seinem Tod war dieses Bindeglied nun nicht mehr vorhanden, ein wichtiger Ansprechpartner verloren gegangen. Es zeigte sich, wie wenig austauschbar oder ersetzbar manche Menschen sind.

Nach und nach verließen ehemalige Kernmitglieder die Gruppe. Die musste sich nun neu zusammenfinden, wurde aber nie mehr das, was sie einmal gewesen war.

Der Gruppenkern hatte immer (und in allen Krisen) dafür gesorgt, dass die ökonomischen Verhältnisse überschaubar und beherrschbar blieben. Mit den Neubesetzungen in der Verwaltung war dies – wie sich bald zeigte – nicht mehr gegeben. Die wenigen, die sich noch verantwortlich zeigten, mussten alle Kräfte aufbringen, um mit der emotionalen und ökonomischen Krise fertig zu werden.

Die Kraft für politische Aktivitäten fehlte damit fast völlig. Als ein Jahr später die Mauer fiel, war keine Gruppe mehr vorhanden, die mit diesem Phänomen politisch hätte umgehen können.

Die alte ASH war tot.

Adu Ettling, † 16.7.1988

Wie geschichtsblind muss man sein, seinem Sohn im Jahr 1957 den Namen Adolf zu verpassen? Vielleicht war aber gerade dies der erste Anlass für den Widerstandsgeist, der Adu ‚auf die schiefe Bahn‘ zu uns Schmuddelkindern brachte.

1975 war Adu eines der Mitglieder der K2, der Kommune in Frankfurt-Heddernheim, aus der dann die ASH als Arbeitslosenselbsthilfe entstand. Ein Mann der allerersten Stunde also, der fortan unser Leben teilte. Das ‚eigentlich‘ für ihn vorgesehene Medizinstudium nahm er nicht auf – die Arbeit mit den jugendlichen Rockern der frühen ASH-Jahre fand er interessanter. Ein Widerspruch eigentlich, weil dies so gar nicht zu seinem sanften Wesen passte.

Schritt für Schritt vollzog er die ASH-Metamorphosen mit, zog mit nach Bonames in die Schuhfabrik und später in die Krebsmühle und war dabei immer der ruhende Pol der Gruppe. Dabei hatte es das Schicksal nicht wirklich gut mit ihm gemeint: Adu war schon in diesen Zeiten Dialyse-Patient und verbrachte regelmäßig Nächte zur Blutwäsche in der Dialyse-Station der Uniklinik.

1987 schien sich dieses Schicksal zu wenden – Adu wurde eine neue Niere implantiert. Mit neuer Hoffnung und großer Kraft stürzte er sich in die Arbeit. Die Wege zur Uniklinik beschränkten sich nunmehr auf Nachuntersuchungstermine, die er regelmäßig wahrnahm. Seine Fahrt zur Uniklinik Anfang Juli 1988 schien daher Routine. In Wahrheit hatte sein Körper reagiert und die neue Niere ‚abgestoßen‘.

Wir haben Adu nicht wiedergesehen.

Für die Gruppe war sein plötzlicher und unerwarteter Tod ein Schock. Keine/r war in der Lage zu arbeiten, bis zum Begräbnis ruhte der ganze Betrieb. Nur die Holzwerkstatt konnte die Trauer aktiv verarbeiten, indem sie einen wunderschönen, mit unserem Krebs beschlagenen Sarg für Adu baute. Der stand dann – ohne Adu – auf der Begräbnisfeier in unserem Gemeinschaftsraum. Für die Beerdigung konnte er nicht verwendet werden: die Eltern, immer noch empört darüber, dass wir ihnen ihren Sohn ‚entzogen‘ hatten, bestanden auf einem normalen Sarg.

© Hilfe zur Selbsthilfe e.V.